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Ambassador
Von einer unbenannten Kuratorin

Ungeduldig lief Jean mit verschränkten Armen vor dem verhüllten Bild auf und ab, begleitet vom Knarren der Holzdielen. Aus der Ferne hörte er den italienischen Steinmetz einen langgezogenen Befehl rufen, der das Staccato-Hämmern für wenige Augenblicke unterbrach. Jean schüttelte mit einer ungeduldigen Handbewegung den Staub vom Mantelsaum und schlug sich danach aus dem gleichen Grund sein Béret an den Oberschenkel. Die Renovierung des Schlosses lief auf Hochtouren und er beschloss, das große Gemälde baldmöglichst wieder von hier abholen zu lassen. Kaum hatte er den Gedanken zu Ende gedacht, hörte er ein schepperndes Geräusch und sah ein winziges goldenes Oval über den Bretterboden rollen. Eilig lief er zu seiner Hutbrosche und als er sich nach der schmucken Plakette bückte, schien ihn der darauf eingelassene kleine silberne Schädel frech anzuzwinkern.

Der Vorhang hob sich und Millionen von Staubpartikeln wirbelten durch die Luft. Zusammen mit der sich entfaltenden Szene auf dem Bild schlug den zwei Freunden ein kühler Lufthauch entgegen. Georges, der kurz davor eingetroffen war, musste erstmal niesen. Mit angestrengt zusammengekniffenen Augen schwiegen beide eine ganze Weile vor dem Gemälde. Und das soll eine versteckte Botschaft im Bild sein? Die ist ja mehr als offensichtlich, raunte Georges schließlich. Aus einem Samtbeutel entnahm Jean einen Glaszylinder und drückte ihn vor sein linkes Auge. Mhm, mhm, machte er, und reichte den Zylinder an Georges weiter. Dieser trat einen Schritt zurück und betrachtete das Gemälde mit dem kleinen Teleskop. Zufriedener senkte er den Arm und wendete sich belustigt seinem Freund zu, also, ich sehe darauf bereits tot aus... als wäre ich aus Holz geschnitzt.

Warum hat er es denn in den vordersten Grund gerückt? Georges war ein aufrichtiger Charakter und so sollte ein Geheimnis für ihn auch aufrichtig verborgen werden. Aber gerade in seiner Offensichtlichkeit wird es übersehen, erwiderte Jean, die Welt will betrogen werden, also soll sie betrogen werden. Sein Freund schüttelte den Kopf und als er von dem stattlich aufgeblasenen Mann auf dem Gemälde zu seinem kränklich blassen Freund blickte, empfand er das Bild um so mehr als eine Täuschung. Nicht gerade freiheitlich gedacht, brummte er, wir können diese Ungestalt unten auf dem Bild erst entziffern, wenn wir das Instrument dazu haben oder den richtigen Blickwinkel wissen. Da lachte Jean auf und verschluckte sich, was in ein herzzerreissendes Husten überging.

Der Steinmetz unterbrach sie, indem er mit kalkweiß gepuderter Kleidung und seiner Mütze in den Händen eintrat. Er wollte mit Jean über die Bezahlung sprechen. Dieser begann mit angestrengter Miene in seinen Rocktaschen zu kramen. Prompt sprang eine glänzende Münze heraus, rollte klirrend über die Dielen und blieb vor der rechten Ecke des Bildes am Boden liegen. Der Steinmetz vergewisserte sich bei Jean, bevor er zum Geldstück lief und es aufhob. Als er aufschaute und sein Blick für einen kurzen Moment das Gemälde traf, hielt er inne. Der Steinmetz begann mit seinem Kopf wie eine Aufziehfigur zwischen dem Bild und den beiden Freunden hin- und herzupendeln. Mit dem Anflug eines Grinsens und dem Schalk in den Augen hob er die Hand zum Gruß und verschwand durch die Tür. Da hast du deinen richtigen Blickwinkel, meinte Jean trocken.

Georges strich sich verwirrt über die beginnende Glatze. Botschaft, Botschafter, Botschaft lief es durch seinen Kopf. Der knochige, fischförmig gemalte Fleck auf dem Gemälde war recht hässlich, eine rotierende Scheibe, die sich alsbald selbst aus dem Bild schleudern würde. Georges dachte, dass das Gemälde bestimmt eine große Aufregung bei den Leuten hervorrufen wird, vor allem zusammen mit dem optischen Instrument. Vor seinem inneren Auge sah er Jean bereits im Schloss herum stolzieren, das Bild erklärend, gestikulierend und angebend wie ein Pfau. Er konnte den Künstler hinter dem grünen Damastvorhang auf dem Gemälde leise lachen hören.

Dann schlug die Schwerkraft ein drittes Mal zu. Vor dem lebensgroßen Gemälde verkreuzten sich die Blicke der zwei Freunde mit ihren beiden Faksimiles derart – vielleicht war es auch das kurze Blinken von dem einen kleinen silbernen Totenkopf zum anderen – sodass Georges gedankenverloren den Glaszylinder auf den Boden fallen liess. Das Teleskop zerstob in tausend Stücke. Ein dürres Klackern, eine Sekunde des Verlusts, der das Geheimnis des Bildes für immer mit sich zu reißen schien. Erschrocken und gleichzeitig verschwörerisch reichten sich die beiden Freunde die Hände. Wortlos hoben sie den Vorhang wieder über das Bild, der zum Abschied eine geisterhaft wirbelnde Staubwolke im Raum hinterließ.

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